Brief
Auf einen Blick
- Retail-Banken, die Vorreiter in puncto Digitalisierung sind, übertreffen mit einer Eigenkapitalrendite von 8,7 Prozent den Wettbewerb deutlich und haben zudem loyalere Kunden
- Im europäischen Vergleich schneiden Banken aus Deutschland und der Schweiz oftmals schwächer ab als ihre Wettbewerber
- Sieben Elemente sind entscheidend, wenn Nachzügler erfolgreich zur Konkurrenz aufschließen wollen
Durch ihre Digitalisierungsbemühungen versprechen sich viele Retail-Banken eine höhere Kundenloyalität und die Realisierung von Kostenvorteilen. Bis jetzt schaffen es jedoch lediglich einige wenige Kreditinstitute, die angestrebten Ziele tatsächlich in die Tat umzusetzen. Ein aktuelles Bain-Benchmarking unter 50 führenden Retail-Banken in Europa zeigt, wie groß die Unterschiede zwischen digitalen Vorreitern und Nachzüglern sind und wie es Vorreitern gelingt, aus der Masse hervorzustechen. Unter den analysierten Instituten befinden sich auch zehn Banken aus Deutschland, Österreich und der Schweiz.
Corona-Krise beschleunigt vielerorts den digitalen Bankbetrieb
Der Lockdown und die fortwährenden Kontaktbeschränkungen forcieren den Wandel im Retail-Banking in einem bislang kaum gekannten Tempo. Um die Erwartungen ihrer Kunden, Beschäftigten und Eigentümer weiterhin zu erfüllen, ist eine konsequente und umfassende Digitalisierung der Kreditinstitute dringend erforderlich.
Das Bain-Benchmarking analysiert anhand von 150 Kriterien aus Kunden- sowie interner Bankensicht, wie weit die Digitalisierung der beteiligten Geldhäuser fortgeschritten ist. Zumindest für die DACH-Region fällt das Ergebnis ernüchternd aus: Vier von sechs Schweizer Banken müssen sich mit hinteren Rängen begnügen. Und auch die Kreditinstitute aus dem deutschsprachigen Raum schaffen nicht den Sprung in die Spitzengruppe (Abbildung).
Höhere Kundenloyalität bei geringeren Kosten
Um die Vorteile einer gezielten Digitalisierung zu quantifizieren, wurde im Rahmen der Erhebung ein Vergleich der Spitzengruppe mit der Konkurrenz durchgeführt. Die Ergebnisse: Die mit dem Net Promoter ScoreSM (NPS®) messbare Kundenloyalität liegt bei den digitalen Vorreitern unter den traditionellen Banken mit 21 Prozent deutlich über der des Wettbewerbs. Reine Onlinebanken schneiden sogar noch besser ab und können ihre Kunden unter anderem durch niedrige Gebühren überzeugen.
Auch die Belegschaft bewertet diejenigen Banken, die Vorreiter in puncto Digitalisierung sind, deutlich positiver. Das gilt für die Weiterempfehlungsbereitschaft als Arbeitgeber ebenso wie für die Beurteilung der Zukunftsaussichten des Unternehmens aus Sicht der Mitarbeitenden. Nicht zuletzt profitieren die Eigentümer. Mit einer Eigenkapitalrendite von im Schnitt 8,7 Prozent liegen die bestplatzierten traditionellen Kreditinstitute 2,5 Prozentpunkte über dem Durchschnittswert der Konkurrenz. Zudem ist ihre Cost-Income-Ratio deutlich niedriger. Eine umfassende Digitalstrategie erlaubt es, den Automatisierungsgrad einer Bank zu steigern, ohne dass das Kundenerlebnis leidet. Im Gegenteil: Durch schnellere und einfachere Interaktionen wird dieses sogar noch verbessert. Damit verbunden ist eine nachhaltige Kostensenkung.
Eine konsequente Digitalstrategie tut not
Was eine erfolgreiche Digitalstrategie ausmacht, zeigt die Studie anhand von zahlreichen Leuchtturmbeispielen auf. Ausschlaggebend sind sieben Elemente:
- Strategie, Ziele und Roadmap. Erfolgreiche Banken fahren bei der Umsetzung ihrer Strategie in der Regel zweigleisig. Einerseits digitalisieren sie ihr bestehendes Geschäft und erweitern es regelmäßig um digitale Innovationen. Andererseits bauen sie neue Geschäftsmodelle auch abseits ihres Kerns auf.
- Produktportfolio. Digitale Vorreiter setzen entweder auf ein reduziertes, standardisiertes Produktportfolio oder auf ein breiteres, dann aber modular auf die Bedürfnisse der jeweiligen Kunden ausgerichtetes Leistungsspektrum.
- Kundenerlebnis. Die Verlagerung des Vertriebs in digitale Kanäle ist erfolgreich, wenn Banken systematisch sämtliche Kontaktpunkte entlang der Kundenreise digitalisieren. Sind mehr als 80 Prozent des Angebots digitalisiert, laufen nahezu drei Viertel der Verkäufe über digitale Kanäle. Gerade für Schweizer Banken besteht hierbei noch signifikanter Aufholbedarf.
- Moderne Kanäle. Alle Zugangswege der Top-Banken im Benchmarking sind extrem nutzerfreundlich. Sie entsprechen dem, was der Kunde heute erwartet und von anderen Digitalunternehmen gewohnt ist. Den führenden Kreditinstituten gelingt es, ihre Kunden in die digitale Welt zu migrieren – zunächst mit sanften Methoden wie Werbekampagnen, gefolgt von härteren Maßnahmen wie höheren Preisen etwa für Filialdienstleistungen.
- Kundenloyalitätssystem. Digitale Vorreiter erfassen regelmäßig das Feedback ihrer Kunden bis hinunter auf Einzelinteraktionsebene. Auf dieser Basis verbessern sie ihre Abläufe und Angebote systematisch und kontinuierlich.
- Betriebsmodell. Führende Banken brechen Silodenken auf und richten ihre Organisation konsequent entlang der Kundenreise aus. Abteilungsübergreifende agile Teams sind dafür genauso unentbehrlich wie ein Talentmanagement, durch das die benötigte Digitalexpertise aufgebaut und weiterentwickelt werden kann.
- Technologie und Daten. Viele traditionelle Banken haben mit einer unflexiblen, veralteten IT-Architektur zu kämpfen. Durch die Entkopplung der eingesetzten Systeme und die Einführung agiler Arbeitsweisen lassen sich Geschwindigkeit und Flexibilität deutlich erhöhen. Auch bei der Nutzung von Daten gibt es vielerorts noch Defizite. Deren Verfügbarkeit und Qualität sicherzustellen ist ein kritischer erster Schritt.